Unser Autor Schuhmann sagt: An der Debatte um Red Dead Redemption 2 lässt sich zeigen, warum MMORPG-Fans 2018 nicht die neuen Spiele bekommen, die sie wollen.
Das nervt MMORPG-Fans gerade: Im Genre der Online-Rollenspiele gibt es spätestens seit 2014 einen Spalt zwischen den Spielern und den Entwicklern:
- Viele Spieler sehnen sich nach einem „klassischen“ Themepark-MMORPG mit handgefertigten Quests und einem Fokus auf Leveln, Loot und Story – Viele wünschen sich ein „WoW in neu“. Ein AAA-MMORPG auf dem Stand der heutigen Technik.
- Die Entwickler arbeiten aber an anderen Spielen: Wenig Story, wenig PvE, kein Themepark – sie setzen auf PvP, auf Sandbox und auf Welten, die sich selbst generieren. Sie wollen MMORPGs entwickeln, in denen Spieler die Hauptpersonen sind und nicht die NPCs.
Viele Spieler verstehen nicht, warum ihnen keiner das MMORPG macht, nach dem sie so laut und ausdauernd rufen. Stattdessen sagen sie bei neuen MMORPGs, dass die zum Scheitern verurteilt sind, weil sie nicht dem entsprechen, was der Markt heute will.
Der Konflikt um die massiven Überstunden bei Red Dead Redemption 2 lässt uns einen neuen Blick auf dieses MMORPG-Problem werfen
Red Dead Redemption 2 ist riesig: Um die 65 Stunden Handlung von Red Dead Redemption 2 und eine lebendig wirkende Welt hinzubekommen, brauchte Rockstar ein Drehbuch von 2.000 Seiten, 500.000 Zeilen Dialog, 300.000 Animationen und 1.200 Schauspieler für Motion-Capture-Aufnahmen. Das hat Rockstar-Mitgründer Dan Houser stolz in einem Interview verkündet.
Das Spiel hat etwa die Dimensionen, die sich MMORPG-Fans von ihrem Traum-MMORPG wünschen: Eine lebendige Welt mit vielen NPCs, zahlreichen Quests und Abenteuern.
Das steckt hinter Red Dead Redemption 2: Doch erforderte RDR2 einen riesigen Aufwand. An dem Spiel haben 4 Teams in verschiedenen Studios für RockSsar über Jahre gearbeitet. Man spricht von über 1000 Mitarbeitern (via Eurogamer).
Nur ein Studio mit einem weltweiten Mega-Hit wie GTA Online kann sich überhaupt so ein Wagnis leisten.
Doch selbst bei so einem Riesen-Studio erzählen die Mitarbeiter Horror-Stories, dass sie über Monate 60-Stunden-Wochen abreißen mussten, um das Mammut-Projekt zu stemmen. Gerade das Testen des Spiels scheint unheimlich zeitaufwändig zu sein.
Rockstar als eines der größten Studios der Welt ist nur in der Lage, ein Spiel dieser Dimension zu entwickeln, indem man die Mitarbeiter bis ans Äußerste treibt. Es ist die Rede davon, dass Mitarbeiter zusammenbrachen und „in Urlaub gingen“, von dem sie dann nicht mehr zurückkamen.Ein MMORPG, das heute wie ein „modernes WoW“ wäre, würde wenigstens genauso viele Arbeitsstunden, eher ein Vielfaches davon, erfordern. Das kann sich offenbar kein Studio heute leisten.
Personal-Problem: Zudem ist die Anzahl der Arbeitskräfte, die zur Verfügung, stehen begrenzt. So gab es Gerüchte darum, dass WoW: Warlords of Draenor 2015 so Content-arm war, weil Blizzard zwar neue Mitarbeiter ins WoW-Team geholt hatte, aber deren Arbeit nicht verwenden konnte. Denn sie war nicht auf dem Niveau, das man brauchte.
Deshalb soll damals eine Personal-Vergrößerung zum AddOn für weniger Content gesorgt haben: Die bestehenden, fitten Mitarbeiter mussten Zeit damit verbringen, die neuen Mitarbeiter einzuarbeiten.
Nur mit diesem Mangel an kompetenten Arbeitsstunden ist das enttäuschende Warlords of Draenor für viele zu erklären.
Das Besondere Problem bei einem MMORPG: Bei MMORPGs und Games-as-a-service kommt ein weiteres Problem hinzu. Hier kann man nicht auf ein Release-Datum hinarbeiten und für einen kurzen Springt die Zusatzschichten schieben. Denn ein MMORPG ist ein Marathon.
In einem Gespräch mit Eurogamer berichten anonyme Mitarbeiter, die für Red Dead Redemption 2 Überstunden abrissen, dass früher solche Gewaltakte irgendwann ein Ende hatten. Diese Zeit des „Crunches“ fand nur in der Endphase eines Projekts statt und endete mit dem Release.
Bei GTA V war das dann nicht mehr so. Denn nach dem Launch mussten die Mitarbeiter an Inhalten für GTA Online arbeiten und da wieder Überstunden machen. Denn die Spieler verlangten nach neuen Inhalten und DCLs.
Das steht den Mitarbeitern wohl auch für Red Dead Redemption 2 bevor: Denn die Online-Version „Red Dead Online“ soll mit weiteren Inhalten unterstützt werden.
Content ist teuer: Wir sehen am Beispiel von RDR2, dass die reinen Arbeitsstunden das entscheidende Element sind. Die Stunden, die es braucht, um „Spielinhalte“ auf dem Niveau zu entwickeln und zu testen, an das Spieler 2018 gewöhnt sind und das sie fordern.
Das verhindert große PvE-MMORPGs.
Während Spielsysteme nur einmal entwickelt werden müssen und dann theoretisch weiterlaufen können – wie bei MOBAs oder PvP-Spielen wie Fortnite -, verschlingen gescriptete Spielinhalte wahnsinnig viel Arbeitszeit.
Der Aufwand scheint mit den aktuellen Möglichkeiten nur auf Kosten der Mitarbeiter zu stemmen zu sein.
Kann es Lösungen geben?
- Viele Studios behelfen sich damit, Assets auszulagern und günstig in Asien herzustellen. Horizon Zero Dawn soll etwa so entstanden sein (via theoutline). Ein kleines Team in den Niederlanden traf die Entscheidungen, während viel Fleißarbeit von Chinesen erledigt wurde.
- Große Studios wie RockStar oder Publisher wie Ubisoft setzen auf immer mehr Mitarbeiter in verschiedenen Studios in aller Welt, um die Mitarbeiterzahl stark zu erhöhen. Das erfordert aber eine Menge zusätzliche Arbeit in der Koordination der einzelnen Teams.
- In China arbeitet NetEase mit der Wunder-Technik von SpatialOS daran, es auch kleinen Teams zu erlauben, große lebendige MMO-Welten zu bevölkern. Hier wird eine spezielle Server-Technik angewandt.
Allerdings werden wir wohl oder übel noch länger auf ein großes PvE-MMORPG warten müssen. Es scheint einfach so zu sein, dass die Arbeitsstunden hier eine natürliche Grenze bilden.
Und wenn man schon so riesigen Aufwand betreibt, will man den wohl eher in ein „sicheres Projekt“ stecken und nicht unbedingt in MMORPG – ein Genre, das etwas aus dem Zeitgeist gefallen scheint.