Große Spielwelten mit vielen Kleinigkeiten zum Entdecken nerven Cortyn inzwischen. Ein lineares JRPG mit Zeitzwang brachte die Gaming-Liebe zurück.
Wer unsere Seite etwas aufmerksamer verfolgt, der wird festgestellt haben, dass ich mir im letzten Monat ein paar Wochen Urlaub gegönnt habe. Das war nicht nur, um der Arbeit eine Weile zu entfliehen. Ich wollte auch ein bisschen Abstand zum Gaming allgemein gewinnen, denn ich fühlte mich ausgebrannt. Und das bei einem Hobby, das ich seit so vielen Jahren liebe und einen riesigen Teil meiner Freizeit ausgefüllt hat.
Open-World-Spiele sind in den letzten 10 Jahren immer beliebter geworden. Die meisten MMORPGs zählen als „Open World“, aber auch im Singleplayer-Bereich ist das Thema immer größer geworden. Fünd wohl besonders große Vertreter der letzten Jahre wären hier Skyrim, The Witcher 3, Final Fantasy XV, Mass Effect: Andromeda oder Red Dead Redemption 2.
Ich will das nicht mehr. Zumindest nicht im Augenblick. So toll es die ersten paar Male war, solch gigantische Welten zu erforschen, so ermüdend ist es inzwischen geworden.
Schon Witcher 3 hatte „Open World“-Probleme
Als ich damals den Test für The Witcher 3 geschrieben habe, hatte ich mir vorgenommen, das Spiel wirklich „komplett“ durchzuspielen – also jede Nebenquest abzuschließen und jeden auf der Karte markierten Punkt zu besuchen. Das bedeutete auch, dass ich auf den Inseln von Skellige mehrere Stunden über das Meer schipperte, um von einer Kiste im Wasser zur nächsten zu fahren.
Jedes Mal zog man dabei einen Sattel aus der Kiste, der so schwer war, dass man im Anschluss wieder in ein Dorf musste, um ihn zu verkaufen.
Das ganze Abfahren des Meeres hat mich damals vier oder fünf Stunden gekostet und brachte im Grunde keinen sinnvollen Loot, keinen Fortschritt und auch keine Freude.
Schon damals stellte ich mir nach Abschluss der Aufgabe die Frage: Was zum Nether mache ich hier eigentlich? Mit Spaß hatte zumindest dieser Teil des Spiels nichts zu tun.
Größe um der Größe willen in Final Fantasy XV
Ganz ähnlich erging es mir vor einigen Monaten, als ich Final Fantasy XV endlich angegangen bin. Das Spiel wurde schon vorher so ein bisschen als „Boyband-Roadtrip-Simulator“ verschrien. Aber hey! Ich spiele die Reihe schon seit FF VII, also konnte ich das nicht auslassen.
Leider hatten die Kritiker recht damit. Final Fantasy XV ist bei aller Liebe kein schlechtes Spiel, hat aber jede Menge wortwörtliche Durststrecken, in denen man mit einem Auto kilometerlange Straßen entlangfährt, was im Regelfall vollautomatisiert abläuft.
Gleichzeitig teilt das Spiel einem aber immer wieder subtil mit, dass man die langen Strecken nicht überspringen sollte. Denn die Charaktere fangen manchmal an zu reden oder ein Charakter entdeckt während der Fahrt einen besonderen Aussichtspunkt, der dann zu einer kleinen Quest führt.
Die Chance darauf entfällt, wenn man die Strecke einfach überspringt. Das ist natürlich Gift für jemanden wie mich, denn ich will ja gerne „alles“ erleben, vor allem kleine Story-Schnipsel.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht übertreibe: Locker 30% meiner 80 Stunden in Final Fantasy XV habe ich damit verbracht, einem Auto dabei zuzuschauen, wie es komplett automatisiert durch die Landschaften fährt.
Dabei hätte es dafür überhaupt keine Notwendigkeit gegeben, schon aus designtechnischer Sicht nicht. Die Spielwelt von Final Fantasy XV ist nämlich nicht „vollgestopft“ mit coolen Inhalten, sondern in weiten Teilen leer. Zwar sieht die Umgebung schön aus, aber sie enthält nur wenig zum Entdecken und noch weniger Brauchbares.
Man kann zwar Erze und Schätze finden, doch 80% dieser Items benötigt man nur, um seinem Auto einen neue Lackierung zu verpassen. Weil ich aber noch immer den „Zwang“ hatte, alles entdecken zu wollen, habe ich auch hier natürlich jedes verdammte Erz mindestens einmal aufgesammelt.
Wie oft habe ich noch gleich mein Auto in Final Fantasy XV neu lackiert? Achja, nie.
Die ganze Spielwelt von Final Fantasy XV hätte man locker auf 1/4 der Fläche packen können, ohne dass es dem Spiel geschadet hätte – aber das hätte die Spielzeit der Spieler gesenkt und dann wäre es ja nicht so richtig „Open World“.
MMORPGs sind noch anstrengender geworden
Ein zweites Problem ist der Faktor „zu viel Auswahl“. Weil manche nun sicher auch verwirrt mit den Augenbrauen anheben, will ich auch das erklären und zwar am Beispiel von World of Warcraft.
Kaum ein anderes MMORPG bietet so viele Möglichkeiten wie World of Warcraft, um an neue Ausrüstung zu kommen. Ich kann Weltquests abschließen, Dungeons mit steigender Schwierigkeit besuchen, mich in vier Schwierigkeitsstufen an den Raids ausprobieren oder meine Artefakt-Halskette auf Insel-Expeditionen verbessern.
Viele dieser Inhalte kann ich ohne natürliche Beschränkung erleben. Zwar kann ich Raids nur einmal pro Woche besuchen, doch Dungeons, Insel-Expeditionen und in geringerer Form auch Weltquests stehen quasi endlos zur Verfügung.
Es gibt kein „Optimum“, es gibt keine natürlichen Grenzen. Wer das Beste aus seinem Charakter herausholen will, der muss endlos spielen.
Das ist bei Weitem nicht nur ein Problem von World of Warcraft, sondern von fast allen großen MMORPGs. Das ist ja auch gewollt, denn wer viel spielen kann, der soll das auch tun können und dabei Erfolge spüren.
Doch mich hat das müde gemacht. Keiner dieser Inhalte fühlte sich richtig befriedigend an und nichts davon gab mir das Gefühl, wirklich spaßige Zeit gehabt zu haben.
Persona 5 zeigte mir, wie schön es auch anders sein kann
Nach einigen Tagen „Pause“ vom Gaming (was ich jedem nur empfehlen kann), habe ich mich dann mal wieder an die PlayStation gesetzt, um mir ein Spiel aus dem „Pile of Shame“ auszusuchen. Ihr wisst schon, den großen Berg an Spielen, die man bei irgendeinem Sale kauft und die dann für Jahre auf der Festplatte verrotten.
Meine Wahl fiel auf Persona 5. Und das dürfte die beste Entscheidung gewesen sein, die ich in diesem Jahr bisher gefällt habe.
Auch wenn die Story von Persona 5 einen großen Reiz ausmacht, will ich diese aus Spoilergründen gar nicht genau ausführen – ihr könnt also beruhigt weiterlesen. Es geht mir viel mehr um einzelne Spielmechaniken und den starken Kontrast, den Persona 5 zu „Open World“-Spielen bildet.
Persona 5 hat eine Erzählweise, in der Zeit ein gravierender Faktor ist, denn davon gibt es stets nur begrenzt. Und doch ist die Auswahl an möglichen Tätigkeiten groß und das führt zu einem Dilemma: Der Spieler kann nicht alles erledigen. Er ist gezwungen, Entscheidungen zu fällen und sich damit nicht nur für etwas zu entscheiden, sondern zugleich auch dafür, etwas anderes nicht zu tun.
Jeder Tag besteht im Grunde aus zwei freien Aktionen, die der Spieler tätigen kann. Das sind unterschiedliche Tätigkeiten, die verschiedene Zwecke erfüllen. Ich kann meinen Charakter zum Beispiel ins Fitness-Studio gehen lassen, wo er mehr Lebenspunkte erhält. Oder ich lasse ihn in einem Restaurant jobben, was ihm Geld und vielleicht etwas Charisma einbringt. Oder lasse ich ihn lieber ein Buch lesen, damit er klüger wird und die nächsten Prüfungen in der Schule besteht?
Das ist nur ein kleiner Teil der Aktionen, die möglich sind. Gleichzeitig kann man nämlich auch noch den Kontakt zu Freunden pflegen und eine tiefere Bindung aufbauen, um neue Fähigkeiten zu erhalten. Das schaltet außerdem neue Story-Sequenzen frei, bei denen wir die Charaktere besser kennenlernen und mehr zu ihren Hintergrund erfahren. All das kostet Zeit, die stark begrenzt ist.
Sogar der „PvE“-Teil hat eine Zeit-Beschränkung
Doch nicht nur in den „sozialen“ Aspekten von Persona 5 gibt es zeitliche Begrenzungen. Selbst im „Kampf“-Teil des Spiels ist Zeit ein wichtiger Faktor. Zwar kann ich mir in der Theorie für das Leveln in den Kämpfen so viel Zeit lassen, wie ich will. Denn solange ich im „Kampf“-Bereich des Spiels bin, gibt es kein Zeitlimit. Es ist egal, ob ich zwei, drei oder siebzig Kämpfe am Stück bestreite, der Aufenthalt im „Kampf“-Bereich des Spiels gilt immer als ein kompletter Tag, egal wie viel ich dort erledige.
Dennoch ist es nicht möglich, dort 10 Level am Stück zu grinden, denn es gibt natürliche Begrenzungen, die sich nicht künstlich anfühlen. Irgendwann werden meine Charaktere, durch den Gebrauch von Zaubern und Fähigkeiten, keine Manapunkte (SP) mehr haben. Ohne SP kann ich aber die Schwächen der Gegner nicht mehr angreifen, wodurch selbst schwächliche Feinde plötzlich zu einer ernsten Bedrohung werden.
SP lassen sich nur vollständig regenerieren, indem man den Kampf-Bereich verlässt und zum nächsten Tag übergeht.
Deadlines sorgen für positiven Stress
Fast alle Tätigkeiten in Persona 5 kosten Zeit und limitieren somit, was ich erleben kann und zwingen mich zu Entscheidungen.
Gleichzeitig gibt es im Spiel fast immer Deadlines, die ich einhalten muss. So prangt oben rechts am Bildschirm fast immer ein Countdown, der mir etwa sagt „Noch 13 Tage, bis du der Polizei übergeben wirst“. Das ist dann irgendein Ultimatum, bis zu dem man das aktuelle Problem der Handlung gemeistert haben muss, sonst endet Persona 5 in einem Game Over.
Diese Ultimaten sorgen dafür, dass man noch stärker abwägen muss, was man eigentlich will. Denn wenn der Countdown immer kürzer wird, steigt auch der mentale Druck. Schafft man den Dungeon noch innerhalb der fünf verbleibenden Spieltage? Kann ich es mir leisten, einen Tag dafür zu verbrauchen, um auf ein Date zu gehen und die Bindung zur Freundin meines Charakters zu stärken? Kann ich mir wirklich noch Dietriche herstellen, um die Kisten im Dungeon öffnen zu können? Oder wird es dann schon zu knapp?
„Nimm dir Zeit“, spottet das Spiel
Genau mit dieser Thematik spielt Persona 5 aber auch auf der Metaebene. Im Ladebildschirm steht jedes Mal provokant „Take Your Time“ – also übersetzt „Nimm dir Zeit“ oder „Lass dir Zeit“. Was am Anfang wie Hohn und Spott klingt, weil die Zeit eine so begrenzte Ressource ist, war für mich eine lehrreiche Erfahrung innerhalb des Spiels. Nimm dir Zeit für das, was dir wichtig ist. Fokussier dich auf das, was du willst und lebe damit, das andere nicht erreichen zu können.
Jede Entscheidung, etwas zu tun, ist gleichzeitig die Entscheidung, alles andere nicht zu tun und womöglich etwas für immer zu verpassen. Es gibt keinen optimalen Weg in Persona 5. Und das ist so dermaßen befriedigend und in seinem Zwang zugleich so ungeheuer befreiend, dass ich erst beim Spielen merkte, wie ich mich nach sowas gesehnt habe.
Fazit: Persona 5 zeigt, dass weniger Freiheit Spielen helfen kann
Persona 5 hat mir gezeigt, was ich eigentlich an Spielen vermisst habe. Die endlose Freiheit eines MMORPGs führt auf lange Sicht – zumindest bei mir – zu Frust und Unzufriedenheit. Eine klare Struktur zu haben und Entscheidungen zu fällen, die eine Bedeutung haben und vielleicht auch mal nicht optimal sind, das ist befreiend. Es hat dafür gesorgt, dass ich in knapp 2 Wochen schon 80 Stunden Spielzeit in Persona 5 verbracht habe – und es ist wirklich lange her, dass mich ein Spiel so fesseln konnte.
Wer in einer ähnlichen Lage ist wie ich und von seinen „Standard“-Spielen ein bisschen ermüdet ist, der sollte sich einfach mal etwas ganz anderes suchen. Meine „Erlösung“ war in dem Fall Persona 5, die ich jedem nur ans Herz legen kann. Das Spiel ist jeden Cent wert.
Ganz nebenbei hat es noch den wohl besten Soundtrack der letzten Jahre.