Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees Thomas Bach schließt Videospiele strikt von den Olympischen Spielen aus. eSports hätte keinen Platz in der Olympiade, solange sich nicht einiges ändert. Die Argumente des Komitees sind allerdings überholt und schwach, findet unser eSports-Experte Benedict.
Im Juli fand sich das Internationale Olympische Komitee (kurz IOC) zusammen, um zu debattieren, ob eSports in die Olympischen Spiele aufgenommen wird. Das Ergebnis war damals die „Esports Liasion Group“, die zwischen Olympiade und eSports vermitteln soll. Der IOC-Präsident schließt Videospiele nun aber vorerst aus.
Aufgewärmt schmeckt’s am besten: Die Killerspiel-Debatte
Der Präsident des Komitees Thomas Bach spricht nun in einem Interview über den eSports, Videospiele und die Olympischen Spiele. Er macht dabei klar, dass Videospiele nicht in die Olympiade passen, sie widersprechen ihren Werten.
In den vorliegenden Zeilen von pcgamer und apnews geht Bach dabei nur auf „Killerspiele“ ein. Sicher, Counter Strike und Overwatch sind große eSports-Titel, das Battle-Royale-Genre kommt in dem Bereich groß auf, und in allen sind Waffen ein Hauptbestandteil.
Die „Ballerspiele“ sind einfach actiongeladener und beliebter um anzusehen als viele andere Games. Aber Gaming und eSports sind viel mehr als hirnloses Gemetzel.
„Videospiele“ sind nicht gleich Killerspiele
Die eigentlich erfolgreichsten Games sind MOBAs und Strategiespiele. Die Top 5 der Spiele, in denen die Spieler am meisten verdienen, sind laut esportsearnings Dota2, CS:GO, League of Legends, StarCraft II und Heroes of the Storm. (Stand 05.09.2018 13:15 Uhr)
Direkt dahinter, auf Platz 6, befindet sich bereits Hearthstone. Und zugegeben, in all diesen Spielen geht es darum, einem Gegner auf die Mütze zu hauen – mit Zaubern, Karten oder sonst etwas. Die Gewalt steht aber ganz sicher nicht im Vordergrund.
Abgesehen von Counter Strike findet sich in der Liste kein einziges Ballerspiel. Wer hier von „Killerspielen“ redet, hat einfach keine Ahnung von der Materie und führt eine veraltete, überholte Diskussion an.
Auch die Zuschauerzahlen sprechen für sich. Nach Daten von sullygnome (Stand 05.09.2018 13:15 Uhr) sind die meistgesehenen Spiele auf Twitch in den letzten 365 Tagen weltweit auf allen Sprachen:
- Platz 1: Fortnite
- Platz 2: League of Legends
- Platz 3: PUBG
- Platz 4: Dota 2
- Platz 5: IRL
- Platz 6: Hearthstone
Nur in einem Drittel dieser Spiele sind Waffen im Fokus des Spiels …
Diskriminierung und Gewalt in Spielen
Bach sagt direkt: „Wir können im Olympischen Programm kein Spiel haben, das Gewalt und Diskriminierung fördert. Sogenannte Killerspiele. Diese stehen, aus unserer Sicht, im Gegensatz zu den Olympischen Werten und können deswegen nicht akzeptiert werden.“
Es ist Sache des Komitees, Disziplinen auszuschließen, in denen irgendetwas getötet wird, auch wenn es nur virtuell ist. Das ist eine Frage der Ethik. Allerdings wird hier nicht ganz klar, ob es Bach um das Akt des Tötens in einem Spiel geht, oder um den Fokus auf Kampf und Waffen.
Was ist das Problem: Waffen oder das Töten? Sollte das Töten ein Problem darstellen, gibt es viele Spiele, in denen keine virtuellen Menschen getötet werden: Hearthstone, Splatoon, sogar Fortnite, in dem die Spieler nur ausgeknockt werden. Im Falle von einem Fokus auf Waffen gibt es ebenfalls Spiele, die diesen nicht haben, wie Dota 2, FIFA oder Hearthstone.
Für einige Disziplinen, die bereits olympisch sind, gelten Bachs kritikpunkte aber offenbar nicht. Bogenschießen und Sportschießen sind schon in sich Sportarten, in denen es um die Benutzung von Waffen geht, und das olympische Fechten simuliert mit seinen Trefferzonen einen tödlichen Treffer, um den Sieger zu bestimmen.
Und ob nun ein Mausklick oder ein Faustschlag mehr „Gewalt fördern“, sei mal dahingestellt.
Spiele inkludieren, sie diskriminieren nicht: Was Bach mit einer Förderung der Diskriminierung meint, erschließt sich mir ebenfalls nicht. Ich selbst bin seit über 15 Jahren Gamer, und mir ist egal, ob meine Mitspieler Frauen, sind, eine andere Hautfarbe oder Behinderungen haben. Mir geht es einzig darum, wie gut sie spielen.
Videospiele selbst unterscheiden nicht, wer spielt. Sie reagieren nur auf die Eingabe, und sind damit von sich aus sogar offen gegenüber mehr Spielern, als es traditionelle Sportarten sein könnten.
Besonders für Spieler mit Behinderung öffnen sich hier Möglichkeiten. Es gibt Controller für Spieler, die beeinträchtigt sind, um ebenfalls zocken zu können. Videospiele erlauben sogar Menschen, die querschnittsgelähmt sind eine Teilnahme.
Sind wir unzivilisiert?
Bach geht jedoch noch einen Schritt weiter. Immerhin gesteht er sich ein, dass einige Olympische Sportarten selbst eigentlich in sich Kämpfe sind. Boxen, Wrestling, Judo und Hockey sind solche Beispiele.
Kampfsport ist zivilisiert: Bach sagt über diese: „Natürlich hat jeder Kampfsport seine Ursprünge im realen Kampf zwischen Menschen. Aber Sport ist die zivilisierte Äußerung dessen. Wenn wir egames haben in denen es ums töten geht, kann das nicht mit den Olympischen Werten zusammengebracht werden.“
Das klingt so, als wolle Bach damit andeuten, dass Sport generell zivilisiert ist, Gaming, oder Killerspiele im speziellen, jedoch nicht. Warum sonst sollte er explizit anführen, dass Videospiele gegen die Olympischen Werte verstoßen, Kampfsport aber nicht?
eSport und Games vertreten auch Werte: Videospielen wohnt ebenfalls eine eigene Ethik inne, die auf die Spieler teilweise mehr Auswirkungen hat als der traditionelle Sport:
- Teamgeist: Der Teamgeist ist einer der wichtigsten Aspekte für viele eSports-Disziplinen. Die Teams trainieren teilweise monatelang in eigenen Trainingshäusern und müssen sich aufeinander verlassen können, um zu siegen.
- Fairness: Einer der größten moralischen Aspekte, die Gaming lehrt, ist wohl die Fairness. Wer in einem Videospiel betrügt, hat es schwer, dort jemals wieder Freunde zu finden. „Cheater“ mag schließlich niemand.
- Sportsgeist: Schaut man sich nur die Overwatch League an, ist schon zu sehen, dass Pro-Gamer einen ausgeprägten Sportsgeist besitzen. Nach jedem Match werden Hände geschüttelt, ehemalige Team-Mitglieder sogar umarmt, wenn sie besiegt wurden. Absoluter „Shit-Talk“ ist eher eine Ausnahme und häufig nur nicht ernst gemeinter Spaß.
Es ist fraglich, von welchen Werten Bach dort spricht, wenn er die „Olympischen Werte“ anführt. Es gibt kaum einen moralischen oder ethischen Wert, der im traditionellen Sport oder in olympischen Disziplinen im speziellen zu finden ist, den Gaming nicht auch abdeckt.
Olympia verpasst eine Gelegenheit
eSports ist eine wachsende Branche, und das Interesse an Videospielen wächst auch in der jüngeren Generation stetig. In beliebten Spielen wie Fortnite werden sogar 13-Jährige zu Profis.
Bereits der Chef von Logitech sagte in einem Interview mit Business Insider: „eSports wird der größte Sport der Welt sein – größer als Fußball.“ Das wird vielleicht noch eine Weile dauern, aber der Trend ist definitiv erkennbar. Events wie die Overatch League werden schon im TV übertragen.
Aktuell ist es noch früh genug, um in den eSports einzusteigen und zu einer der Anlaufstellen für die Zukunft zu werden. Das IOC verpasst mit der Entscheidung ihres Präsidenten diese Gelegenheit womöglich.
Bach stellt Ansprüche an die Spiele, sich den Olympischen Werten anzupassen. Ob und wann das passieren wird, oder ob Videospiele das überhaupt nötig haben, wird die Zeit zeigen.
Es ist ermüdend
Ich arbeite nun seit einiger Zeit als Autor und Journalist für Videospiele und eSports im Speziellen. Die Gründe für die Ablehnung von eSports als „richtiger Sport“ sind seitdem dieselben, mit einer kleinen Alternation in der Wortwahl hier und da.
Es zeigt, dass die Verantwortlichen in größeren Veranstaltungen wie hier in den Olympischen Spielen keine Ahnung haben, was sie da eigentlich kritisieren. Es zeugt auch, dass sie kein Interesse daran haben, sich mit eSports auseinanderzusetzen.
Ich lege langsam keinen Wert mehr darauf, dass „mein Sport“ auf eine Linie mit den traditionellen Sportarten gebracht wird. Ich bin die Diskussionen von Leuten leid, die mit den immer selben Argumenten kommen und ihre Ignoranz zur Schau stellen, wenn möglich wie hier sogar noch den Gamern selbst eine indirekte Spitze verpassen.
Ich schließe mich deswegen der Meinung des SPD-Politikers Lars Klingbeil an: eSports braucht Olympia nicht – Olympia braucht eSports.
Für Gamer gibt es auch ganz eigene Events, mit denen sie Spaß haben können, wie den esports Summer 2018 von Unitymedia.