Unser Autor Schuhmann glaubt, Forsaken zeigt jetzt, wie viel bei Destiny 2 zum Release für die Kernspieler fehlte. Zwar war die Story okay, aber die zu Grunde liegenden Spiel-Mechaniken erwiesen sich als zu dünn. Kann Forsaken für Destiny 2 die Wende bringen oder ist es dafür zu spät?
Destiny 2 machte Gelegenheitsspieler glücklich: Es wurde so viel auf Destiny 2 eingeschlagen, dass wir die guten Zeiten vergessen. Denn Destiny 2 machte zum Start im September 2017 einiges richtig.
Im Vergleich zur katastrophalen Story des Vorgängers hatte Destiny 2 eine in sich abgeschlossene Geschichte. Diesmal hatte sich Bungie die „Zeit für Erklärungen“ genommen.
Die Kampagne stand, die Story-Missionen waren interessant. Es galt, neue beeindruckende Welten zu bestaunen. Hohe Produktionswerte bei Sound und Grafik bot Destiny ohnehin. Dazu kam ein fantastisches Gunplay. Das alles war cool und reichte für 6 Wochen Spaß.
Viel mehr erwarten Gelegenheitsspieler von so einem Game wie Destiny nicht.
Destiny 2 war auf Sand gebaut
Aber keine Zeit für Spiel-Mechaniken: Doch Destiny 2 stand auf einem maroden Gerüst. Die entscheidenden Spiel-Mechaniken waren nicht vorhanden oder nur Alibis, die keine Tiefe boten.
Dabei hatten diese Spiel-Mechaniken bei Destiny 1 noch funktioniert und die Hüter dazu gebracht, tausende von Stunden mit Destiny zu verbringen.
Für Außenstehende war diese Faszination für Destiny immer ein Rätsel: „Was machen die da so lange im Spiel?“ fragte jeder, der nicht eingeweiht war.
Denn diese Spielmechaniken sind für die Kernspieler enorm wichtig. Während Gelegenheitsspieler meist gar nicht dahin kommen, sich mit den Progress-Mechaniken zu beschäftigen, schöpfen die Vielspieler aus ihnen die Motivation, sich mit einem Spiel für Monate zu unterhalten.
Dann setzt die Kreativität der Spieler ein, Communities bilden sich, Streamer und YouTuber steuern ihren Teil bei und aus einem Videospiel wird mehr – es wird tatsächlich ein Hobby. Das gelang Bungie mit Destiny 1. Vielleicht war vieles nicht so geplant, aber es ist ihnen gelungen.
Schuld war Noseworthys Schwager
Wie kam es zum Richtungswechsel? Vor Destiny 2 wirkte es plötzlich so, als wäre dieses „Eingeweiht sein“ auch irgendwie anstrengend.
Producer Mark Noseworthy sagte, es sei schwierig jemanden von Destiny zu überzeugen.
„Destiny war ein Spiel, das man nur schwer empfehlen konnte. Mein Schwager hat mich mal gefragt, ob er dieses Destiny-Game spielen sollte. Und mein erster Instinkt war ihm zu sagen: Hm, ich weiß nicht, ob ich Zeit habe, dir alles zu erklären, was du am Anfang wissen willst.“
Plötzlich war es uncool, zu tief in Destiny einsteigen zu müssen.
Destiny 2 hat den Spielern die Gestaltung ihres Charakters weggenommen
Die neue Design-Idee: Ja, wir sind an der Oberfläche ganz zugänglich. Aber wenn man tiefer einsteigt, dann ist da Substanz für die Vielspieler da. Das schien die neue Parole für Destiny 2 zu sein.
Doch während die Kampagne stand, war nach einem Reboot offenbar nicht mehr genug Zeit, um diese Design-Ziele zu erreichen, die man vorher ausgegeben hatte.
Design-Ziele für Vielspieler blieben auf der Strecke:
- Spieler brauchten jede Waffe nur einmal – denn es gab keine Zufalls-Rolls mehr
- Es existieren nur begrenzte Möglichkeiten, den eigenen Charakter zuzuschneiden – Keine Waffe war so richtig mächtig, Rüstungsteile spielten fast keine Rolle mehr
- Viele Entscheidungen zum eigenen Hüter waren langweilig. sie hatten keine Wirkung. Die Mods waren ein lästiges Anhängsel, das wie Pflicht wirkte. Man brauchte halt Mods mit +5
- Zudem hatte Bungie das PvP von Destiny 2 verlangsamt und damit das Skill-Ceiling deutlich gesenkt – die Top-Spieler hatten kaum Möglichkeiten, zu glänzen. Das machte die Streamkultur auf Twitch rund um Destiny 2 kaputt. Viele Streamer sind mittlerweile zu Fortnite gewechselt.
Zu wenig, zu spät
So wollte Bungie die Probleme mit den DLCs lösen: Die Probleme waren spätestens Ende 2017 klar. Doch Bungie reagierte nur zögerlich und klebte Pflaster auf offene Wunden.
Während des letzten Jahres hat Bungie mit „Meisterwerk-Waffen“, einer Stärkung der Exotics und einem „Go Fast“-Update zwar versucht, gegenzusteuern. Doch all das wirkte wie Flickwerk und brachte nicht die Wende.
Neue Spiel-Mechaniken wirken intelligent und rund
Nun war Zeit: Das große Thema bei Forsaken ist es denn nun, den Spielern die Entscheidungen über ihren Charakter wiederzugeben, die ihnen Destiny 2 genommen hat.
- Es soll einen Unterschied machen, welche Waffe man benutzt, welche Rolls in den Wummen da stecken, welche Rüstung man trägt und was für Mods man nutzt.
- Außerdem will man das PvP wieder beschleunigen und mehr „Helden-Momente“ zurückbringen. Bungie will guten Spieler die Gelegenheit geben, zu glänzen.
Die jetzigen Spiel-Mechaniken wirken – zumindest in der Theorie – intelligent und rund.
Das ist alles löblich und gut. Aber es hat auch den faden Beigeschmack, dass Destiny 2 in einem Zustand veröffentlicht wurde, von dem Bungie wissen musste, wie bröcklig das Gerüst war.
Wie erklärt Bungie das Problem? Im Nachhinein hieß es von einem Bungie-Entwickler, es habe da eine Betriebsblindheit geherrscht. Man habe beim Polieren des Spiels viel vom ursprünglichen Charme weggehobelt. Das sei aber nur von außen zu sehen, von innen nicht. Da dachte man: „Natürlich werden alle Leute Destiny 2 besser finden als 1. Es ist ja viel sauberer, polierter und besser.“
Chef-Entwickler Luke Smith hatte vor dem Release gesagt, er habe Ideen, wie man auch die x-te Version einer Waffe „interessant“ mache, aber er wisse nicht, ob es diese es noch zum Release ins Spiel schaffen würden. Sie schafften es nicht. Offenbar gab es große Zeitprobleme vor dem Release von Destiny 2.
Forsaken steht vor einer schweren Aufgabe
Destiny 1 als Basis: Bungie hatte jetzt ein Jahr Zeit, um die Spiel-Mechaniken nachzubessern. Bei vielen Ideen scheint Bungie wieder Destiny 1 als Basis genommen zu haben, hat aber mehr Tiefe reingebracht als vorher.
Es wirkt so, als sei Destiny 2 Forsaken jetzt das Spiel, was 2017 hätte veröffentlicht werden sollen. Hoffentlich ist es dafür noch nicht zu spät.
Wenn man jetzt den Stream zu „Forsaken“ über den Kampf gesehen hat, fiel auf, wie gelöst und entspannt die Entwickler wirkten: Zufrieden mit sich und ihrer Arbeit.
Daraus kann man Zuversicht schöpfen, dass Destiny 2 jetzt noch die Kurve kriegt.
Forsaken steht vor einer Mörder-Aufgabe
Das will Forsaken: Forsaken zielt darauf, die Kernspieler wieder an Destiny 2 zu binden. Es soll die Spieler zurückgewinnen, die man verloren hat.
Deshalb hört man von Bungie auch ständig, dass man sich am Feedback der Community orientiert hat. Die Sprachregelung ist hier: „Destiny 2 soll wieder zum Hobby werden.“
Schwere Aufgabe: Die Kernspieler zurückzugewinnen, wird eine schwere Aufgabe für Forsaken sein. Die Enttäuschung ist groß. Zudem hatten sich die Core-Fans eigentlich schon für 2017 ganz andere Dinge gewünscht, wie 60 FPS auf PS4 und Xbox One oder dedizierte Server. Von denen ist nach wie vor keine Rede.
Bungie musste 2018 erstmal dafür nutzen, das Fundament zu bauen, für das vor Destiny 2 wohl keine Zeit mehr war. An eine Weiterentwicklung ist erst zu denken, wenn das steht.
Zeitfenster für Destiny 2 ist noch offen, aber schließt sich schnell
Positiv kann man sagen: Destiny 2 Forsaken kommt noch gerade richtig. Von Anthem, The Division 2 oder gar Borderlands 3 ist noch nichts zu sehen.
Aber sollte Destiny 2 straucheln, dann werden diese Spiele da sein. Das jetzige Halbjahr wird das letzte sein, in dem Destiny 2 wenig Konkurrenz hat.