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Special
Jan. 01, 2019 | 11:30 Uhr

Der Sommer 2019 wird heiß für Final Fantasy XIV dank der nächsten Erweiterung „Shadowbringers“, die der Story des MMORPGs eine dramatische Wendung verspricht. Unser Gastautor Erzkanzler stellt sich den Dämonen seiner Vergangenheit und gibt Final Fantasy XIV eine zweite Chance: Lohnt es sich 2019 noch, mit Final Fantasy XIV anzufangen? 

„Es heißt ja, man solle jedem eine zweite Chance zugestehen“, dachte er bei sich.

Sein Blick schweifte über die staub bedeckten Hüllen vergangener Liebschaften. Seine Hand griff jene schon leicht vergilbte DVD-Box der Special Edition. Seine Finger glitten zärtlich über den Einleger. Ein In-Game Code für den Onion Helm, ob sich Square Enix wohl noch an ihn erinnern würde?

Er wagte es nicht einmal, daran zu denken. Zu tief saß der Stachel der bittersüßen Enttäuschung. Die Erinnerung an die damaligen Ereignisse verblasste nur langsam. „Törichter, alter Mann!“, schoss es ihm durch den Kopf.

Erneut hatte er sich auf ein Abenteuer eingelassen und fühlte sich an alte Zeiten erinnert. Nicht an jene mit Leid erfüllten Stunden. Nein. Er erinnerte sich an jene Stunden voller  Freude und Hingabe.. Doch war es diesmal echte Liebe oder nur ein neu aufloderndes Strohfeuer aus der Asche einer längst verglühten Leidenschaft?

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2010 war Final Fantasy XIV ein Fehlkauf – Wie würde es heute sein?

Es klingt wie der Beginn eines Groschenromans, und ist doch eine kitschige Beschreibung meiner tragische Begegnung mit Final Fantasy XIV. Vor mir liegt sie, die originale Version aus dem Jahre 2010. Und nur mit Schrecken gelingt es mir, die Erinnerung zurückzuholen, in welch desaströsem Zustand sich dieses MMO damals befand.

Abgesehen von nicht enden wollenden Castbalken, über sich ständig wiederholende Texturen bis hin zu fehlenden Grundfunktionen, wie etwa dem Springen (die Space-Taste öffnete den Chat), war Final Fantasy XIV damals ein nahezu unspielbar.

Sieben Jahre später ist das Spiel eine unerwartete Erfolgsgeschichte, mit eigener zweistündiger YouTube-Dokumentation über den Phoenix aus der Asche. Für mich unfassbar, hatte ich das Spiel doch als schmerzlichen Fehlkauf seit Release ins Regal verbannt.

Nachdem sich die positiven Stimmen mehrten und sich der Erfolg zeigte, dass sich seit dieser Zeit wohl einiges geändert haben musste, weckte FFXIV erneut mein Interesse.

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Wie fühlt es sich an, nach sieben Jahren in ein MMO voller Content zu springen? Wie ist es, mit anderen zusammen zu spielen, die drei, vier oder gar fünf Jahre Vorsprung haben? Kann so etwas gut gehen?

Und viel wichtiger, wird Final Fantasy XIV die tiefen seelischen Narben, die es mir zufügte, vergessen machen? Dies und noch vieles mehr, berichtet der Erzkanzler in seinem Reisetagebuch: „Die Dicke Katze.“

Die Trial-Version als Einstiegsdroge

Meinem Plan, mich den Dämonen meiner Vergangenheit zu stellen, kommt zu Gute, dass FFXIV eine ausgedehnte Trial-Version anbietet, mit der man zeitlich unbegrenzt bis Level 35 spielen kann. Anschließend ist ein Abo fällig.

Richtig gelesen, Final Fantasy XIV ist eins der wenigen MMOs, die sich noch ein Abosystem leisten. Es gibt zwar einen Shop, aber dessen Inhalt ist weder spielrelevant, noch ist er sonst präsent. Es geht so weit, dass er nicht einmal aus dem Spiel aufzurufen ist, sondern einzig über die eigene Account-Webseite.

Es gibt also kaum Ausreden, sich das Spiel nicht wenigstens einmal angeschaut zu haben.

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Der Charakter-Editor

Der Charaktereditor ist solide und zu meiner Freude unterstützt Final Fantasy XIV auch meine Ultrawide-Auflösung von 2560×1080. Ein Charakter ist schnell erstellt. Die Klassenwahl hingegen fällt mir, wie üblich nicht ganz so leicht, letztlich entscheide ich mich für einen Krieger.

Erfreulich, der Editor bietet einiges an Möglichkeiten, allzu experimentierfreudige Kreationen sind jedoch nicht möglich. Brustumfänge bleiben im realistischen Rahmen und auch pinkfarbene Krieger muss man in dem MMO nicht fürchten.

Ich betrete erstmals Eorzea, die Welt des Spiels, und bin überrascht. Für ein MMO in fast biblischem Alter, zeigt sich FFXIV fast schon sexy. Auch bei einem Release in 2018 würde ich die Grafik kaum beanstanden. Natürlich ist es kein Black Desert Online, aber so gut gealtert wie Final Fantasy XIV sind nur wenige Spiele.

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Die ersten Schritte

Empfangen werde ich, wie zu erwarten, durch eine Filmsequenz, welche ich, noch nicht ahnend was mich erwartet, gespannt betrachte. Anschließend ein paar Dialoge durchgeklickt und auf ins Getümmel… oh Moment, der Dialog war wohl noch nicht fertig.

Gut nun aber, auf ins Getümmel! Cutszene! Dialog! Auswahldialog? Das kam unerwartet! Ich darf also zu Teilen mitentscheiden? Um es vorweg zu nehmen: Die Antwort lautet: Nein. Wirklich spürbaren Einfluss haben diese Entscheidungen nicht. Sie sollen wohl eher die Bindung zum Spielcharakter stärken.

Also klicke ich mich weiter fröhlich durch Dialogboxen. Die wenigsten Dialoge sind vertont, auch wenn ich das Gefühl habe, je länger ich spiele, desto häufiger werden Vertonungen. Videoszenen lassen sich auch überspringen, empfehlen würde ich es aber niemandem. Oft werden dramatische Wendungen in eben jenen Videos vermittelt.

Wer Final Fantasy XIV spielen will, sollte Zeit und Geduld mitbringen.

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Aber genug, springen wir direkt in die Action, mitten rein ins Geschehen.

Ein MMORPG, das man super mit dem Controller spielen kann

Endlich bin ich im Tutorial angekommen und lerne die tiefere Bedeutung der Taste „W“ kennen. Ich bin beeindruckt! Nein, nicht von der üblichen WSAD-Steuerung, sondern von dem Angebot das Spiel auch mit dem Gamecontroller spielen zu können.

Ein Versuch im Laufe des späteren Spiels ergab, Final Fantasy XIV setzt diese Steuerung vorbildlich um, zeigt aber auch die Grenzen und Unwegsamkeiten dieser Lösung auf. So wird ein Controller der Vielzahl der Möglichkeiten nicht immer gerecht oder fordert Umwege, die mit Maus und Tastatur nicht auftreten.

Wer möchte, findet in FFXIV jedoch wohl eines der am besten für Controller optimierten MMOs die es aktuell auf dem Markt gibt.

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Meine erste Quest führt mich schnurstracks in die örtliche Kneipe „Zur ertränkten Sorge“. An dieser Stelle sei kurz angemerkt, wie brillant die Lokalisierung der Texte gelungen ist. Das Spiel wird mir von Minute zu Minute sympathischer.

300 Stunden später: Ich hab mir ein Abo gegönnt

Knappe 300 Spielstunden später habe ich diverse Klassen, beziehungsweise Jobs wie sie in Final Fantasy XIV genannt werden, ausprobiert. Habe Drachen erschlagen, Kriege geführt, Bündnisse geschlossen, Fische geangelt, Chocobos ausgebildet, eine dicke Katze die mich begleitet und Unzähliges mehr.

All jene Abenteuer und Möglichkeiten aufzulisten würde den Rahmen sprengen. Zumindest ist die Frage geklärt, ob ich FFXIV vergeben konnte. Mein Abo ist für ein Jahr bezahlt!

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Doch Hand aufs Herz, wie war es denn nun in ein Spiel neu einzusteigen, das bereits so lange existiert? Nun, fordernd und wundervoll zugleich. Dies liegt jedoch weniger an der gigantischen Mengen an Inhalten, als an Final Fantasy XIV selber.

Es gibt zwar Anfängertutorials, aber diese beschränken sich auf wenige und, MMO-Spielern meist eh schon bekannte, Mechaniken. Abseits dieser Einführung obliegt es aber dem Spieler, sich zu informieren.

Sei es in dem man vorbildlich alle Quest-Texte liest und jede Nebenquest absolviert oder, wie in meinem Falle, in dem man entsprechende Guides und Videos aus dem Internet bemüht. Final Fantasy XIV geht gern auch einmal um drei bis fünf Ecken mehr als andere MMOs.

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Eingewöhnen muss man sich in Final Fantasy XIV

Ein Beispiel: Ihr wollt etwas im Auktionshaus kaufen. Nichts einfacher als das, sobald ihr das Marktbrett gefunden habt, welches es in jeder größeren Stadt gibt. Aber wehe, ihr wollt selber Waren anbieten.

Hier die Kurzfassung: Spreche mit einem NPC, erstelle einen Gehilfen im Charaktereditor, gib ihm eine eigene Persönlichkeit und einen Job, anschließend suche dir eine Krämerklingel, rufe deinen Gehilfen und gebe ihm den zu verkaufenden Gegenstand.

Das ich da nicht selbst drauf gekommen bin… Wer nicht bereit ist, sich dies und Ähnliches selbst anzueignen und zu erarbeiten, der sollte von dem Spiel lieber die Finger lassen. Wem jedoch dieses Entdecken und Erforschen in heutigen MMOs fehlt, der kann guten Gewissens zugreifen.

So begeistert ich von FFXIV auch bin, es hat seine Ecken und Kanten. Oft erscheint das Spiel inkonsistent, auch weil es an seiner Vergangenheit nagt. Einige Mechaniken wirken „hinzu gedoktort“, ab und an etwas klobig und viel umständlicher als nötig.

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Kleidungssystem als Flickwerk?

Das Kleidungssystem ist ein gutes Beispiel. Es wurde nachträglich eingeführt und mehrere Male erweitert, da es unausgereift war. Anstatt es aber komplett zu ersetzen, wurden weitere Bestandteile hinzugefügt. Und so ist ein System, das andere MMOs in einem Fenster abbilden, in Final Fantasy XIV über vier oder fünf Fenster verteilt.

Dazu gibt es weitere Stolpersteine. Eine Quest lässt sich etwa nur dann abschließen, wenn die Namenseinstellungen im Menü richtig ausgewählt wurden, so dass man die Bezeichnung des Quest-Gegenstandes überhaupt angezeigt bekommt.

Nach fünf vergeblichen Anläufen, samt Cutscenes, fünfminütigen Kampfhandlungen und verzweifelter Suche auf Reddit war aber auch dieser Quest-Abschnitt erledigt. Es braucht ab und an auch Nerven und Verbissenheit um Final Fantasy XIV wirklich zu lieben.

Final Fantasy XIV belohnt Spieler, die sich reinfuchsen

Hat man sich mit diesem Umstand abgefunden, belohnt einen das Spiel aber mit eben jenem Retro-MMO-Gefühl, nach dem sich heute viele Spieler wieder sehnen: ein Tab-Targeting Kampfsystem, Holy-Trinity Gruppendynamik in Reinform, unzählige Instanzen und Raids, eine epische Hauptstory, Unmengen belangloser Hol-, Bring- und Töte-Nebenquests, einer stimmige Fantasywelt und einem Crafting, das ohne Übertreibung wohl zum Besten gehört, das dieses Genre je erblickt hat.

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Am Klassensystem könnte sich der ein oder andere Mitbewerber ein Beispiel nehmen, denn in FFXIV braucht man keinen Zweit- oder gar Dritt-Charakter, um verschiedene Klassen zu spielen. Man wechselt einfach nur seine Ausrüstung und somit auch gleich die Klasse.

Was allerdings nicht auch gleich heißt, dass man die entsprechende Erfahrung erhält. Jede neue Klasse muss natürlich trainiert und gelevelt werden. Neben Unmengen an Story- und Instanz-Inhalten sind also auch über das Job-System hunderte Spielstunden gesichert.

Hat Final Fantasy XIV noch genügend Mitspieler im Low-Level-Bereich?

Doch findet man denn als Neuling genug Mitspieler im Low-Levelbereich?

Diese Frage kann ich aus vollstem Herzen mit ja beantworten. Das liegt mitunter am Dungeon-System von Final Fantasy XIV, welches auch hochstufige Spieler belohnt, die mit Neulingen in Instanzen abschließen, als auch an der unvorstellbar hilfreichen und netten Community des Spiels.

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Sie alleine wäre eine Lobeshymne wert. Wenn man sich nicht vorsätzlich dusslig anstellt, etwa vorab nicht schaut, ob die eigene Ausrüstung angemessen für den gewählten Inhalt ist, wird einen die Community mit offenen Armen empfangen.

In über 300 Spielstunden habe ich es nur ein einziges Mal erlebt, dass jemand die Instanzgruppe verlassen hat, nicht eine Beschimpfung habe ich in Gruppenchats gelesen und ist jemand neu in einer Instanz, erklären erfahrene Spieler teils ohne Aufforderung die Stolpersteine und kaum eine Frage bleibt unbeantwortet.

Natürlich gibt es auch in Final Fantasy XIV Ausnahmen, subjektiv erscheinen mir diese allerdings deutlich seltener als in anderen MMOs.

Überragende Community

Trotz überragenden Community rate ich jedem, sich einer Gilde (welche in dem Spiel „Freie Gesellschaften“ genannt werden) anzuschließen. Meine junge Dame Weltenbrand traf glücklicherweise schon recht früh auf die Freie Gesellschaft „Weltenwaechter“ die von jenem Zeitpunkt an mit Rat und Tat zur Seite standen.

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Zwar gibt es in Final Fantasy XIV keine relevanten Inhalte, für die man eine Freie Gesellschaft zwingend bräuchte, aber ein Oldschool-MMO ohne Gilde zu spielen, fühlt sich einfach nicht richtig an. Außerdem bieten Freie Gesellschaften, neben zusätzlichen Buffs, oft auch ein schönes Gildenhaus und nicht zuletzt, im Idealfall, auch noch viele nette Menschen.

Lohnt sich ein Neueinstieg in Final Fantasy XIV 2019?

Bleibt noch die Frage offen, ob der Einstieg so lang nach Release des Spiels sinnvoll ist. Sicher, nicht jeder Neuling wird es ähnlich übertreiben wie ein Erzkanzler und innerhalb kürzester Zeit über 300 Stunden in das Spiel investieren, aber in Final Fantasy XIV ist das auch gar nicht nötig.

Durch das Klassensystem gibt es eigentlich immer jemanden, der noch einen Tank, Heiler oder DD hochspielen möchte und neue Spieler gibt es derzeit auch genug.

Das Spiel stellt abseits von der Jagd nach besseren Ausrüstungsteilen viele weitere Spielinhalte zur Verfügung. Diese sind für Neueinsteiger zwar aus Zeitgründen kaum alle gleichzeitig abzuarbeiten, bieten ihnen aber eben dadurch auch die freie Wahlmöglichkeit, wie sie die Reise gestalten wollen.

Geleitet wird man als Spieler mit dem deutlichen roten Faden der Hauptquest. Folgt man ihr, ist der Weg zum Maximallevel kaum zu verfehlen.

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Arbeit erforderlich

Wer partout in die Endgame-Raids springen möchte, kann sich über einen Charakterboost aus dem Shop zumindest auf Level 60 zu bringen und bekommt angepasste Ausrüstung gestellt.

Ganz ohne Arbeit wird man aber auch in Final Fantasy XIV nicht auskommen. Allen, die ihren Charakter klassisch hochspielen möchten, sei gesagt, aufschließen zu den langjährigen Spielern ist problemlos möglich, benötigt aber Zeit und ein wenig Fokus auf die wichtigen Dinge um dies zu erreichen.

Wer sich entscheidet einen Tank oder Heiler zu spielen, wird sicher schneller ans Ziel kommen. Da diese wie üblich chronisch in der Unterzahl sind, findet man deutlich schneller Gruppen.

Zusammenfassen könnte man meine Erfahrung wie folgt: Trauert ihr den „guten alten Zeiten“ des MMOs hinterher, dann solltet ihr dem Spiel eine Chance geben. Kein anderes Spiel hat es, in meinen Augen, geschafft so viel Nostalgie-Gefühl mit trotzdem noch zeitgemäßen Inhalten, Spielmechanik und relativ hohem grafischen Anspruch zu verbinden wie Final Fantasy XIV.

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Voraussetzung ist jedoch ein wenig Hingabe, Leidenschaft und Leidensfähigkeit, gerade wenn es um Dialogboxen und Cutscenes geht, denn von denen hat das Spiel unzählige.

Und so endet dieser Groschenroman auch wie er begann: Nachdenklich ruhte sein Blick auf der nun entstaubten und gesäuberten Hülle. Das fahle Licht der Straßenlaterne spiegelte sich in der Klarsichtfolie, die sich über das gealterte Polypropylen spannte, und erleuchtete sein nostalgisch dreinblickendes Gesicht.

„Du hast dich gut entwickelt!“, dachte er bei sich und lies sie sanft auf den Tisch gleiten. Warum hatte er nur so lang gewartet ihr eine zweite Chance zu geben. So viel Zeit hatten sie verloren. Im Hintergrund flackerten zwei Monitore auf und erleuchteten das düstere Zimmer.

Ein leiser Mausklick durchbricht die Stille und haucht der Szene unvermutet Leben ein.